Fassaden
Die Stadt zeichnen. Das urbane Kulisse bildet seit 30 Jahren die Leinwand meines Lebens. Ganz natürlich entstand der Wunsch, sie darzustellen - die Stadt festzuhalten, um ihr zu entfliehen; sie zu übersteigen, um eine andere Realität darin zu erfinden; Möglichkeiten zu entdecken, die bisher verborgen waren. Wenn man durch die Stadt geht, ist man von Fassaden umgeben. Die Fassade ist die Hülle, die Haut des Gebäudes. Man nimmt sie zunächst als Ganzes wahr, eine Fläche, die von einem Raster, einer Wiederholung von Mustern, rhythmisiert wird. Aber wenn man etwas verweilt, vervielfältigen sich die Details, die Geschichte wird komplexer, man erahnt Fragmente einer Erzählung, die Farbe eines Vorhangs, ein Spiegelbild in einem Fenster, das hier sich abspielende Leben erreicht uns in Bruchstücken.
„Ja, es könnte so anfangen, hier, einfach so, (…) an diesem neutralen Ort, der allen und niemand gehört, (…) wo das Leben im Haus gedämpft und gleichmäßig nachhallt. Von dem, was sich hinter den schweren Türen der Wohnungen abspielt, nimmt man meistens nur diese schallende Echos wahr, diese Brocken, diese Fetzen, diese Skizzen, diese Köder, diese Zwischenfälle oder Unfälle, die sich in dem abspielen, was man die ‚Gemeinschaftsräumen‘ nennt, diese leisen gedämpften Geräusche, die der verschossene Teppich aus rote wolle erstickt, diese Embryos des Gemeinschaftslebens, die immer auf den Treppenabsätzen haltmachen.“
Georges Perec - Das Leben eine Gebrauchsanweisung
Die Fenster verschließen den Blick dahin, wo sich alles abspielt. Sich für die Fassade zu interessieren, bedeutet, sich für das tägliche Leben der Menschen zu interessieren. Da wir zunächst nur eine fragmentarische und oberflächliche Wahrnehmung davon haben, kann alles außergewöhnlich werden. Die Fassade verwandelt sich in eine Leinwand, auf der wir unsere eigenen Geschichten projizieren, sie ruft die Erinnerung an vergangene Momente, die Vertrautheit der Gegenwart oder die Fantasien einer Zukunft hervor. Sich für die Fassade zu interessieren, bedeutet, sich für eine Vielzahl von Geschichten zu interessieren, für eine Ansammlung von Erfahrungen und Schicksalen, für mannigfaltige Welten.
Wie stelle ich sie dar? Durch Farbe, durch kleine bemalte Kartonstücke, die diesen Geschichten Gestalt verleihen. Die Farbkombinationen definieren die Räume, die Wiederholungen von Mustern erzeugen optische Vibrationen.
Die Wahl der Fassaden basiert auf plastischen und sentimentalen Kriterien, die selten auf den ersten Blick spektakulär wirken. Und immer, während der Erstellung der Collage, entferne ich mich von den ursprünglich gedachten Wegen; die Struktur bleibt, aber die Farben und Muster entweichen und zeichnen neue Formen. Letztendlich entsteht eine utopische Form, ein wahrhaft-falsches Gebäude, ein transformiertes Bild der Stadt, welches eine dystopische Harmonie hervorbringt, einen farbenfrohen Pessimismus.